° W I N T E R S E M E S T E R 2 0 2 4 / 2 5 C A M P U S L E B E N So könnte sie gehen, die Geschichte von »Verknallt in einen Talahon«, dem ersten mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz generierten Song, der es in die deutschen Charts geschafft hat. Vermutlich ging es aber viel früher los. Damals, in den 90ern, als Josua Waghubinger in seinem Kinderzimmer mit den ersten verfügbaren MusikSoftwares herumexperi mentierte. Waghubingers Leidenschaft für Musik und das Digitale begleiten ihn bis heute – und erhalten vor ein paar Jahren mit dem Einzug der Künstlichen Intelligenz neue Nahrung. »Meine ersten Songs habe ich als Gags für Freunde gemacht, um zum Beispiel Themen aus dem Wochenende aufzuarbeiten«, erinnert er sich. In der Regel entstehen nur kurze Musikschnipsel – bis ein befreundeter Streamer ihn um einen ganzen Song bittet. »Dafür musste ich die 30Sekünder, die KI in der Regel ausspuckt, quasi zusammenzukleben«, erzählt Waghubinger, in dem wäh rend der Produktion eine Hypothese reift: »Ein KISong kann viral gehen, wenn er auf einer abstrusen Mischung aus Musik und Text basiert.« Einfach mal machen Um die weitere Entwicklung des Songs zu verstehen, lohnt ein Blick auf Josua Waghubingers Vita. Kurz nach dem Studium gründet er das Unternehmen Triclap und entwi ckelt digitale Gesellschaftsspiele, heute ist er für das Marke ting des SoftwareUnternehmens Qvest zuständig. »Do the right thing, before you do things right«: Dieses Mantra der DigitalSzene hat Waghubinger verinnerlicht. »Ich habe bei dem Song einfach ausprobiert und die KI machen lassen, ganz ohne Kalkül«, erzählt der Produzent – und stellt damit die eigene Leistung in den Schatten. Zwar entstand die Musik, ein Schlagersound unterlegt mit einer Stimme, die an Marianne Rosenberg erinnert, in Zusammenarbeit mit der Software Ubio. Refrain und Liedtext stammen aber von Waghubinger. »Das war mein menschlicher Beitrag«, sagt der Mittdreißiger, der als Jugendlicher RapSongs schrieb, als Werbetexter arbeitete und heute Gedichte verfasst. Er weiß also, wie es geht und suchte sich für seinen neuen Song gezielt ein Trendthema. Der Begriff Talahon tauchte Anfang 2024 vermehrt auf TikTok auf; der Langenscheidt Verlag nahm ihn in die Auswahl zum Jugendwort 2024 auf. Wie KI die Welt sieht Binnen zwei Wochen verbucht der Song »Verknallt in einen Talahon«, der zunächst nur aus einem Refrain besteht, eine Million Aufrufe auf TikTok. »Meine Frau hat mich dann »Letztlich ist KI ein Werkzeug, für das wir Rahmenbedingungen schaffen müssen.« J O S U A W A G H U B I N G E R abends in mein Zimmer geschickt, um den Song fertigzu schreiben«, erinnert sich Josua Waghubinger. Das vollstän dige Stück wird bei Spotify und You Tube millionenfach aufgerufen. Am 9. August steht »Verknallt in einen Tala hon« auf Platz 48 der deutschen Charts. Und Josua Wag hubinger steht am Pranger. Denn der Begriff Talahon wird zunehmend von der rechten Szene vereinnahmt; Waghu bingers satirischer Ton nicht immer verstanden. Hinzu kommt Kritik am Titelbild, das mit Hilfe der KISoftware Stable Diffusion entstand und ausländerfeindliche Stereo type bedient. Waghubinger räumt ein, er sei zu wenig kritischer Redakteur gewesen. »Womit wird die Software gefüttert, damit sie solche stereotypen Ergebnisse liefert? Wir brauchen eine Debatte zur Datenbasis«, fordert Wag hubinger. »Letztlich ist KI ein Werkzeug, für das wir Rahmenbedingungen schaffen müssen.« Werkzeug für Kreative Im Oktober war Josua Waghubinger am Fachbereich Design der Hochschule Niederrhein, um von seinen Erfahrungen mit KI zu berichten. Er traf auf Studierende, die aufge schlossen sind gegenüber neuen Technologien – aber mitunter fürchten, dass menschliche Schaffenskraft ersetz bar wird. Waghubinger hingegen empfindet KI als Bereiche rung für kreative Arbeit und prognostiziert menschlicher Leistung eine neue Wertschätzung: »Die Frage ist doch: Fühlen wir uns wohl damit, wenn alles nur noch aus dem Computer kommt oder gibt es menschliche Aspekte, die wir jetzt noch mehr schätzen? Dazu eine Haltung zu entwi ckeln und diese durch eigne Erfahrungen in der Nutzung von KI zu stützen – das ist das Beste, was man tun kann.« Josua Waghubinger selbst sammelt Schallplatten und gibt für eine Vinylscheibe regelmäßig mehr Geld aus, als ihn der digitale Zugang zur weltweiten Musikproduktion kosten würde. Das ist nicht rational. Aber menschlich. ° www.tiktok.com/@butterbroofficial