Energiewende Ja, aber schneller, sozial gerechter und partizipativer – zu diesem Fazit kommt eine bundesweite, repräsentative Befragung. Ob die Menschen für oder gegen Maßnahmen sind, hängt vor allem von der Meinung ihres Umfelds ab.
Von 2019 bis 2022 haben die Hochschule Niederrhein (HSNR) und fünf weitere Partnerinstitute aus Wissenschaft und Praxis an der Studie „Demokon - Eine demokratische Konfliktkultur für die Energiewende“ intensiv geforscht. Das Projektteam hat bundesweit und zusätzlich Einwohner:innen aus Regionen befragt, die direkt von Energiewende-Maßnahmen betroffen sind – und damit Konfliktpotenzial bergen.
Denn auch wenn den meisten der Klimaschutz wichtig ist, gibt es vielerorts Bedenken und sogar Widerstand gegen den Bau neuer Windräder, Stromtrassen oder den Ausstieg aus dem Kohle-Abbau. Das von der Mercator-Stiftung finanzierte Projekt fokussiert Bürger:innen, die bisher nicht aktiv in lokale Auseinandersetzungen verwickelt sind („Unbeteiligte“). Entstanden ist ein Bild von ihrer Haltung, ihren Gründen, ihren Sorgen, Forderungen und die Beeinflussung ihrer Meinungsbildung durch Populismus – mit spannenden Erkenntnissen.
Zu den Autor:innen gehört Beate Küpper von der HSNR. Die stellvertretende Leiterin des dortigen So.Con-Instituts hat dazu den Blick konkret u.a. auf das Rheinische Revier gelenkt, zu dem auch Mönchengladbach gehört. Denn die Region rund um Heinsberg durchlebt nicht zuletzt mit dem geplanten Ende der Braunkohle-Verstromung einen echten Strukturwandel.
Das Ergebnis der Studie: Grundsätzlich sehen die Menschen den Klimawandel als große Bedrohung (80 %), sind daher auch bereit zur Veränderung. 70 Prozent befürworten die Energiewende, nur wenige (8 %) sind dagegen. Die übrigen (22 %) stehen ihr ambivalent gegenüber.
Kritik an der Umsetzung
Kritik gibt es daher weniger am Ob, sondern am Wie:58 Prozent der bundesweit repräsentativ Befragten sind unzufrieden: Sie fordern eine schnellere und dezentrale Energiewende, mehr Beteiligung und eine gerechtere Verteilung der Lasten. Den Gegnern sind die Maßnahmen zu langsam, zu teuer und sozial ungerecht. Vor Ort sorgen sich die Menschen darum, nicht eingebunden zu werden, fürchten aber auch, dass die Energiewende durch Proteste und andere Formen von Widerstand gegen neue Anlagen ausgebremst wird.
Soziodemographische Faktoren wie Bildung, Einkommen, Geschlecht oder der Stadt-Land-Unterschied spielen bei der Einstellung zur Energiewende kaum eine Rolle, das Alter, politische Einstellungen und Parteipräferenzen hingegen schon.
Blick in die Regionen
In Regionen, die besonders von der Energietransformation betroffen sind, ist die Ablehnung etwas größer – mit deutlichen lokalen Unterschieden: Im Rheinischen Revier lehnen 16 Prozent der Befragten die Energiewende ab, in der Braunkohleregion Lausitz in Ostdeutschland sind es mehr als doppelt so viele (34 %). In Gebieten, wo große Stromtrassen gelegt werden, sind 17 Prozent ablehnend, dort mit vielen Windkraftanlagen 21 Prozent.
Interessant ist: Deutlich mehr Befragte glauben, die anderen Einwohner:innen seien Gegner der Energiewende. In Wirklichkeit sind es aber viel weniger. Im Rheinischen Revier nehmen 28 Prozent der Befragten an, die Menschen in ihrem Wohnort seien dagegen, in der Lausitz sind es sogar 48 Prozent. „Das heißt, das Land ist eigentlich progressiver als die Menschen selbst annehmen. Das konnten wir im Rahmen anderer Studien ganz ähnlich auch schon bei anderen Themen wie Einwanderung und der Ehe für Alle sehen“, sagt Prof. Beate Küpper.
Rolle von Populismus
Dieser Befund zeigt, wie sehr sich Menschen in ihrer Meinung an anderen orientieren. Wer glaubt, in der eigenen Gemeinde ist die Mehrheit gegen ein Energiewendeprojekt, tut sich schwerer, eine positive oder ambivalente Haltung zu äußern. „Die Anzahl der Gegner wird auch deshalb überschätzt, weil die Gegner lauter sind – und das sind sie nicht zuletzt deshalb, weil sie sich von der vermeintlichen Mehrheit in ihrer Region getragen fühlen. Da irren sie aber“, schlussfolgert Küpper.
Die Studie zeigte aber auch: Wer sich bislang nicht aktiv in die lokale Debatte eingemischt hat, konnte dazu auch später nicht von Befürwortern oder Gegnern mobilisiert werden.
Ablehnung rührt nicht zuletzt auch aus der Neigung zum Populismus, wie die Befunde unterstreichen. 22 % der Befragten unterstellen: „Die Energiewende ist ein Projekt links-grüner Eliten“, 19 % glauben: „Durch den Windausbau wollen sich Unternehmer und Politiker nur bereichern“ und 51% befürchten: „Die Zeche für die Energiewende zahlen die kleinen Leute.“ Zugleich fordern nur 8 %: „Wir sollten zu der bewährten Energieversorgung zurückkehren“.
Fast jeder Fünfte neigt zu einem solchen „Energiewende-Populismus“. Im Rheinischen Revier liegt ihr Anteil mit 15 Prozent unter dieser bundesweiten Verbreitung, in der Lausitz liegt sie mit 36 Prozent darüber.
Mehr Informationen finden Sie unter www.demokon.de.
Zur Studie:
Projektpartner: Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (Leitung), Institut für Demokratieforschung der Universität Göttingen, Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) Potsdam, Universität Siegen, Institut für Raum und Energie in Wedel bei Hamburg sowie Hochschule Niederrhein
Förderer: Mercator-Stiftung
Befragungen: vor Ort und online, insgesamt rund 4.000 befragte Personen deutschlandweit.
Zeitraum: 2019-2022. Die Befragung lag vor dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine und den damit verbundenen neuen Herausforderungen für die Energieversorgung.