Mönchengladbach, 22. November. An deutschen Schulen ist es längst Alltag: Einen immer größeren Teil der Unterrichtszeit wenden Lehrer für die Bewältigung psychosozialer Probleme auf, die eigentliche Vermittlung des Lernstoffs kommt dabei unter die Räder. Abhilfe könnte da die verstärkte Einstellung von Sozialarbeitern und Kulturpädagogen schaffen. Davon sind die Professoren Hans-Joachim Schubert und Gunzelin Schmid Noerr überzeugt. Sie begleiten seit rund einem Jahr das Projekt des Schulamts Mönchengladbach „Schulkultur? Prima!" auf wissenschaftlicher Basis. Jetzt legten sie erste Ergebnisse vor.
Ziel des Projekts ist es, das Miteinander von Schülern, Lehrern und Schulleitung zu verbessern und somit die individuellen Schulkulturen zu optimieren. Die Forschergruppe ist sich sicher: „Um eine gute Leistung zu bringen, muss die Schulkultur stimmen." Insgesamt werteten die Forscher 1792 Fragebögen aus, die sie an 21 Mönchengladbacher Schulen verteilt hatten. Die Studierenden befragten dazu Lehrerinnen und Lehrer sowie Schülerinnen und Schüler unterschiedlicher Altersklassen und Schulformen. Bei den Gruppeninterviews vor Ort ging es darum, die konkreten Probleme in den Schulen zu identifizieren. Ein Ergebnis: Die jeweilige Schulleitung spielt eine herausragende Rolle für das Klima in der Schule. Wenn sie Druck auf das Kollegium ausübt, stehen die Lehrer zusätzlich unter Stress und geben diesen an ihre Schüler weiter. So entsteht ein Klima, bei dem die psychosozialen Probleme der Lehrer zunehmen und der Unterricht leidet.
Besonders bemerkenswert: Von den zunächst befragten sieben Schulen - unter ihnen Gymnasien, Hauptschulen, Realschulen und Gesamtschulen - schnitt ausgerechnet eine Hauptschule am besten ab. Prof. Dr. Hans-Joachim Schubert führt dieses überraschende Ergebnis auf die Bedeutung der Schulleitung zurück. „Wenn es dort stimmt, ist die Schulform für das Klima innerhalb der Schule anscheinend zweitrangig", sagt er.
Das Thema Gewalt stünde beim Klima in der Schule gar nicht so sehr im Mittelpunkt. Vielmehr seien es alltägliche Kommunikations- und Verständigungsprobleme, die das Klima an den Schulen belasteten. „Schüler urteilen oft sehr hart und teilen ihre Lehrer in gute und schlechte ein. Auf der anderen Seite ist es für die Lehrer sehr schwer, immer fair und gerecht zu urteilen. Was pädagogisch erforderlich wäre, ist im System Schule oft gar nicht vorgesehen. Oft fehlt ihnen die Zeit, neben der Vermittlung des Lernstoffes fair und gerecht auf die individuellen Probleme der Schüler einzugehen", sagt Prof. Dr. Gunzelin Schmid Noerr.
Die Forscher haben die Auswertungen der Schüler- und Lehrerinterviews zu jeder der untersuchten Schulen zusammengefasst. Auf diese Weise entstanden spezielle Schulprofile mit den Stärken und Schwächen der jeweiligen Schulkultur. Diese Profile wurden den untersuchten Schulen zur Verfügung stellt, die nun daraus gegebenenfalls praktische Folgerungen ableiten können.
Was die Schulen nach Ansicht der Wissenschaftler brauchen, ist eine ausreichende finanzielle Ausstattung und Personal. „Hier können Kulturpädagogen einspringen", empfehlen Schubert und Schmid Noerr. Im Gegensatz zu Sozialarbeitern, die erst dann zum Zug kommen, wenn die Probleme eskalieren, arbeiteten Kulturpädagogen präventiv. Sie können die Aufgabe der Sozialisation der Schüler übernehmen, wenn die Lehrer auf diesem Gebiet nicht weiterkommen. Warum das in Zukunft immer wichtiger wird, erklärt Schubert: „Heute sind Schulklassen keine homogenen Gruppen mehr, wie sie es früher viel stärker waren. Die Kinder sind unterschiedlich sozialisiert, Immigranten spielen eine größere Rolle. Unsere Gesellschaft differenziert sich zunehmend, und diese Unterschiede spiegeln sich vor allem in den Schulklassen wider." Aufgabe der Kulturpädagogen sei es, diese extrem heterogenen Gruppen zusammenzuführen. Den Studiengang Kulturpädagogik kann man am Fachbereich Sozialwesen sowohl als Bachelor- als auch als Masterstudiengang studieren.
Im zweiten Teil des Projekts wurde eine quantitative Fragebogenerhebung mit Schülern und Lehrern der genannten sowie 14 weiteren Schulen unternommen. Die Grundauswertung sowie die schulspezifischen Auswertungen wurden ebenfalls den Schulen zur Verfügung gestellt. Diese können jetzt ihre eigenen Ergebnisse bei den erfragten Merkmalen mit den Durchschnittsergebnissen aller Schulen vergleichen und auf diese Weise die Besonderheiten ihres Schulklimaprofils erkennen. Unabhängig davon wollen die Forscher die quantitativen Ergebnisse der Befragungen noch weiter zentralisieren und verallgemeinern, was eine längerfristige Aufgabe darstellt.
In diesen Tagen läuft ein dritter Teil des langfristigen Projekts an, wiederum eine qualitative Erhebung mit Gruppeninterviews, diesmal aber in anderen Schularten. Es geht um Förderschulen und Berufskollegs.
Pressekontakt: Dr. Christian Sonntag, Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Hochschule Niederrhein: Tel.: 02151 822 3610; Email: christian.sonntag@hs-niederrhein.de
Autor: Christian Sonntag