Krefeld/Mönchengladbach, 26. April. Der mittlere Niederrhein leidet unter einer Abwanderung hochqualifizierter Fachkräfte. Das ist das Ergebnis einer Studie des NIERS-Instituts der Hochschule Niederrhein. Demnach verlassen mehr hochqualifizierte Absolventen der Hochschule Niederrhein die Region als junge Menschen ein Studium an der Hochschule aufnehmen. Diesen Verlust an Humankapital bezeichnen die Wissenschaftler als Brain Drain. Unter dieser Entwicklung leiden die Unternehmen der Region, die auf Fachkräfte angewiesen sind.
Für die regionale Wirtschaft sind die Ergebnisse der Befragung von erheblicher Relevanz. Zeigen sie doch, dass die von Textilien- und Maschinenbauindustrie geprägte altindustrielle Region (Krefeld, Mönchengladbach, Kreis Viersen, Rhein-Kreis Neuss), die ohnehin unter den Folgen der Globalisierung leidet, ein weiteres Problem hat: die Unter-Akademisierung. „Vor allem im Bereich der unternehmensnahen Dienstleistungen arbeiten am Niederrhein zu wenige Akademiker", sagt Prof. Dr. Rüdiger Hamm, Leiter des NIERS-Instituts und Mitautor der Studie.
Dies ist besonders bemerkenswert, weil die Hochschule Niederrhein über ihre Fachbereiche Wirtschaftswissenschaften und Wirtschaftsingenieurwesen Fachkräfte für diese unternehmensnahen Dienstleistungen ausbildet. In den Unternehmensberatungen, Marketingagenturen, Ingenieurbüros oder Logistikunternehmen werden Betriebswirte, Informatiker und Ingenieure gesucht. „Den Arbeitgebern gelingt es anscheinend nicht, die Absolventen in ausreichendem Maß über ihr Angebot zu informieren", schlussfolgert Hamm. „Hier besteht noch Potenzial, um die Absolventen enger an die Region zu binden."
Die Wissenschaftler fragten nach den Gründen, warum sich Absolventen entschieden, die Region zu verlassen. 46 Prozent gaben an, keine passende Stelle gefunden zu haben. Von den 782 Absolventen, die migriert sind, gaben 501 an, bei einem attraktiveren Jobangebot in der Region geblieben zu sein. Allerdings kannten 359 der Befragten die für sie relevanten Unternehmen am Niederrhein gar nicht oder eher schlecht. „Hier sind die Unternehmen gefragt", resümierte Hamm. „Sie müssen unter den Studierenden der Hochschule Niederrhein noch stärker auf ihre Angebote aufmerksam machen."
Die Wissenschaftler des NIERS-Instituts griffen bei Ihrer Studie auf Daten der internen Koordinierungsstelle Evaluation der Hochschule Niederrhein zurück. Sie befragten einmal Alumni der Hochschule Niederrhein, deren Hochschulabschluss bis zu zehn Jahre zurückliegt. Bei ihnen ist der Brain Drain erheblich: Bei einer Quote von 42 Prozent einheimischen Studienanfängern - also Studienanfängern, die ihre Hochschulzugangsberechtigung am Niederrhein erworben haben - verblieben nach dem Abschluss ihres Studiums nur knapp 19 Prozent in der Region. Der Brain Drain liegt in dieser Gruppe bei 24 Prozent. Bei der Befragung der Absolventen der Jahre 2009 bis 2011 war die Quote zwar günstiger, auch hier machten die Wissenschaftler allerdings einen Brain Drain aus.
Dabei variieren die Ergebnisse stark nach Fachbereichen. Verbleibt bei den Wirtschaftswissenschaftlern nur jeder Vierte nach Studienabschluss in der Region (bei einer Quote von 42 Prozent einheimischer Studienanfänger), weisen andere Fachbereiche sogar eine positive Bilanz beim Humankapital auf: Im Fachbereich Sozialwesen beispielsweise kommt jeder dritte Studienanfänger aus der Region; aber 42 Prozent der Absolventen verbleiben nach ihrem Abschluss am Niederrhein und arbeiten hier. Eine positive Bilanz schaffen auch die Maschinenbauer, die Oecotrophologen und die Gesundheitswissenschaftler. „Hier funktioniert die Kommunikation zwischen Unternehmen und Hochschulabsolventen offenbar gut", schlussfolgert Hamm.
Unter dem Titel „Niederrhein sucht Fachkräfte!?" sprechen Arbeitsmarktexperten aus Wirtschaft und Wissenschaft am 8. Mai im Rahmen des 10. Regionalökonomischen Forums unter anderem über die Ergebnisse der Studie. Dabei diskutieren der Vizedirektor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung Dr. Ulrich Walwei, der Arbeitspsychologe Prof. Dr. Alexander Cisik, der Leiter des Referats Arbeitsmarkt- und Arbeitszeitforschung bei der Hans-Böckler-Stiftung Dr. Alexander Herzog-Stein, der Geschäftsführer der Agentur für Arbeit Krefeld Christopher Meier und der Präsident der Hochschule Niederrhein Prof. Dr. Hans-Hennig von Grünberg über den Brain Drain in der Region und die Folgen für den Fachkräftemangel am Niederrhein.
Termin: 10. Regionalökonomisches Forum „Niederrhein sucht Fachkräfte!?", Dienstag, 8. Mai, 13:30 bis 18 Uhr; Tagungsort: Webschulstr. 39, 41065 Mönchengladbach, Raum S 301
Anmeldung und weitere Infos bei Christiane Goebel, Tel.: 02161 186 6401, Email: niers@hs-niederrhein.de; http://www.hs-niederrhein.de/forschung/niers/aktuelles/
Pressekontakt: Dr. Christian Sonntag, Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Tel.: 02151 822-3610; email: christian.sonntag@hs-niederrhein.de
Autor: Christian Sonntag