Wie stellt sich Heinsberg zukunftsweisend auf – vor allem mit Blick auf das geplante Aus der Braunkohleverstromung? Denn der Landkreis und Teile der Städteregion Aachen, Mönchengladbach sowie das nördliche Rheinische Revier sind sehr landwirtschaftlich geprägt und gelten als strukturschwach.
Um dieser Region Innovationskraft zu verleihen, neue Technologien zu etablieren und langfristig Arbeitsplätze zu schaffen und zu sichern, hat sich das Bündnis „Ingrain – von Reststoff zu Wertstoff zu Nährstoff“ gegründet. Mit dabei ist auch die Hochschule Niederrhein (HSNR). Es ist eines von deutschlandweit 25 „WIR!“-Bündnissen, die als Impulsgeber vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit Millionenbeträgen gefördert werden. Unternehmen, Hochschulen, Forschungseinrichtungen und andere Akteure tun sich zusammen, um die Region für die Zeit nach dem Braunkohleabbau zukunftsfest aufzustellen.
„Ingrain“ will im Rahmen dieser Kooperation konkret eine biobasierte Circular Economy erreichen – und dabei die Agrar-, Textil- und Lebensmittelbranche in der Region rund um Heinsberg vernetzen. Dafür bringt die HSNR ihre Lebensmittel-Expertise ein, während der Fokus der RWTH Aachen auf Textil und Nachhaltigkeit und der Hochschule Rhein-Waal (HSRW) auf Agrarbusiness liegt. Sie wollen aus Nebenströmen und Reststoffen, die bei der Verarbeitung von Produkten in den jeweiligen Branchen anfallen, Wert- beziehungsweise Nährstoffe entwickeln.
Wie das gelingt, zeigt ihr Starter-Projekt „TechEnt“. Gemeinsam forschen sie an einem Ersatz für Torf, der in der Pilz- und Gemüse-Kultivierung eingesetzt wird. Von den rund 569.000 Euro Fördermitteln fließen fast 188.000 Euro an die HSNR. Was es damit auf sich hat, stellt die Hochschule Niederrhein kürzlich beim Ingrain-Bündnistag in Wegberg vor, den die Wirtschaftsfördergesellschaft (WFG) für den Kreis Heinsberg organisiert hatte.
Torf dient im Champignon-Anbau als Deckschicht auf den Pilzen. Denn er reguliert die Temperatur an der Oberfläche der Pilze, hält sie kühl und feucht, da er Wasser gut speichern kann.
Torf entsteht in Mooren und schwächt als Co2-Speicher den Treibhauseffekt ab. Moore binden weltweit mehr Kohlenstoff als sämtliche Wälder zusammen. Ein wichtiger Grund, den Abbau von Torf zu reduzieren. Zudem werden dadurch sensible Ökosysteme zerstört. Für die deutsche Pilz-Kultivierung werden jährlich 55.000 Tonnen Torf benötigt.
Umso wichtiger war es dem Projekt-Team, eine Alternative zu finden – und zwar aus cellulosischen Reststoffen/Textilabfällen. Denn alternative Wachstumssubstrate wie Kokosfasern, Mineralwolle oder Perlite existieren zwar, sind aber weder in der Produktion noch in der Entsorgung oder im Transport nachhaltig.
Die alternative Deckerde aus biobasierten Reststoffen musste bestimmte Eigenschaften erfüllen - darunter einen neutralen pH-Wert aufweisen, eine hohe Luft- und Wasserhaltekapazität haben sowie krankheitserreger- und schadstofffrei sein.
Anhand dieses Kriterienkataloges der HSNR wurde das Institut für Textiltechnik (ITA) der RWTH Aachen fündig: Für die Champignon-Kultivierung wurden Weizenpulpe und Stapelfasern als besonders geeignet identifiziert, für Tomaten Vliese und Abstandsgewebe.
HSNR konzentriert sich auf die Pilz-Kultivierung: Zwei Anbau-Experimente im Labor sollen nun zeigen, wie sich der textile Torfersatz auf die Champignons auswirkt. Am hochschuleigenen Kompetenzzentrum für Angewandte Mykologie und Umweltstudien (KAMU) ist der erste Testlauf schon gestartet und läuft bis September. Ein zweiter Durchgang folgt kommendes Jahr. Dort werden auch die wertgebenden Substanzen untersucht, also beispielsweise der Nährstoffgehalt und die Polysaccharide.
Am Competence Center Microbiology and Biotechnology (CCMB) der HSNR werden die kultivierten Champignons dann mikrobiologisch und lebensmittelhygienisch untersucht und bewertet. „Wir möchten gerne abseits der Experimente im Labormaßstab auch raus in die Industrie und auf einer größeren Fläche anbauen“, sagt Prof. Dr. Miriam Sari. Gemeinsam mit Prof. Dr. Dr. Alexander Prange, Vizepräsident des Ressorts Forschung und Transfer, leitet sie das Projekt TechEnt.
„Auch die neue Torfminderungsstrategie der Bundesregierung zeigt, wie wichtig und aktuell die Problematik ist. Das Ziel ist ambitioniert, aber wenn wir auch nur eine Teilsubstituierung mit Hilfe regionaler, biobasierter Nebenströme erzielen können, wäre dies ein großer Erfolg“, so Sari weiter.
Wie das textile Substrat bei Tomaten funktioniert, testet die HSRW. Sie und die RWTH Aachen übernehmen auch die Nachhaltigkeitsbetrachtung. „TechEnt“ läuft über einen Zeitraum von drei Jahren.