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Kleingarten
Die Professoren Dr. Hans-Joachim Schubert (2. von rechts) und Dr. Gunzelin Schmid Noerr (rechts) übergeben den Abschlussbericht an Kurt Liedtke, Vorsitzender des Kreisverbandes Mönchengladbach der Kleingärtner. Links Oberbürgermeister Norbert Bude.

Mikrokosmos Kleingartenvereine: Wissenschaftler untersuchten Integrationsprobleme

Mönchengladbach, 27. Februar. Kleingartenvereine hierzulande haben ein Problem: Immer weniger Vereinsmitglieder engagieren sich. Zugleich wächst die Nachfrage nach Kleingärten unter Migranten stärker als unter gebürtigen Deutschen. Haben Kleingartenvereine also ein Integrationsproblem? Diese Frage trieb den Kreisverband Mönchengladbach der Kleingärtner e.V. ebenso um wie Oberbürgermeister Norbert Bude, die sich daher auf den Tag genau vor zwei Jahren, am 27. Februar 2010, an den Fachbereich Sozialwesen der Hochschule Niederrhein wandten. Im Gepäck hatten sie einen Forschungsauftrag der etwas anderen Art: eine empirische Studie über „Das Gemeinschaftsleben in Kleingartenvereinen in Mönchengladbach - unter besonderer Berücksichtigung sozialer Integrationsformen von Migranten und deutschstämmigen Kleingärtnern".

 

Unter der Leitung der Professoren Dr. Gunzelin Schmid Noerr und Dr. Hans-Joachim Schubert befragten Studierende des Fachbereichs Sozialwesen im Rahmen von qualitativen Interviews über 55 Kleingärtner mit und ohne Migrationshintergrund. Die Ergebnisse der Befragung mündeten in einem 60-seitigen Abschlussbericht, den Gunzelin Schmid Noerr und Hans-Joachim Schubert heute an der Hochschule Niederrhein den Kleingärtnern, Oberbürgermeister Norbert Bude und der Presse vorstellten. „Die Kleingartenvereine sind Vorreiter einer gesellschaftlichen Entwicklung", untermauerte Schubert die wissenschaftliche Relevanz der Studie. Kleingartenvereine seien mit ihrem hohen Migrantenanteil ein „Experimentierfeld neuer Formen gesellschaftlicher Integration".

 

Das abnehmende ehrenamtliche Engagement in den Kleingartenvereinen führen die Wissenschaftler dabei keineswegs primär auf die stärkere Präsenz von Migranten zurück. Ein mindestens ebenso wichtiger Aspekt sei die sinkende Nachfrage nach Kleingärten unter Deutschen. „Aber die wegbleibenden Deutschen sind nicht sichtbar, die Migranten schon. Daher werden sie eher für die Vereinsmisere verantwortlich gemacht", so Prof. Schubert. Er gab zu bedenken, dass ein bürgerschaftliches Engagement nicht Teil des traditionellen sozialen Lebens mancher Migranten sei. Außerdem gehörten auch viele jüngere deutschstämmige Mitglieder einem Milieu an, in dem man sich vor längerfristigem Engagement in Vereinsämtern scheue.

 

„Zwischen den Stühlen" sitzen nach Ansicht der Wissenschaftler die traditionsbewussten Kleingärtner, die oft in den Vorständen der Vereine tätig sind. Diese bemühten sich zum einen, die Tradition des Vereins aufrecht zu erhalten, zum anderen aber auch, die neuen Mitglieder in den Verein zu integrieren. Die Vorstände müssten daher den dauerhaften Spagat zwischen den traditionsverwurzelten Kleingärtnern einerseits, die sich resignierend aus dem Vereinsleben zurückzögen, und neuen Gruppen andererseits vollziehen. „In den Interviews haben wir eine große Unsicherheit unter den Vorständen festgestellt, wie das gehen soll", sagte Schmid Noerr.

 

Dabei räumten die Wissenschaftler mit einem gängigen Vorurteil auf. Keineswegs seien Missverständnisse unter deutschen und eingewanderten Kleingärtnern auf unterschiedliche Wertvorstellungen zurückzuführen. Denn beide Gruppen, sowohl die Deutschen als auch die Migranten, kämen in den Kleingartenvereinen aus dem traditionellen Milieu. „Sie teilen ähnliche Grundorientierungen und Werte wie Sicherheit, Familiensinn oder Religion", führte Schubert aus. „Manche Deutsche sind in dieser Hinsicht Migranten ähnlicher als Deutschen aus anderen Milieus", so Schubert. Unterschiede bestünden dagegen vor allem bei den sozialen Normen und Bräuchen. „Traditionen kann man nicht ablegen wie ein altes Hemd", so Schubert. Daher brauchten emotionale Bindungen zwischen den Gruppen vor allem Zeit. „Integration in den Kleingärten kann nicht von heute auf morgen erfolgen."

 

Und sie gelinge nur, wenn die Gruppen gegenseitig ihre unterschiedlichen Traditionen und Gewohnheiten anerkennen. Während Migranten in den Kleingartenvereinen oft versuchen, Inseln zu bilden, also nebeneinander liegende Parzellen zu pachten, möchten die Vereinsvorstände genau das unterbinden, um einer Ghettobildung vorzubeugen. „Inselbildungen stehen einer Integration nicht unbedingt im Weg", sagte Schubert. Vorausgesetzt, diese Gemeinschaften blieben offen gegenüber anderen. Auch hier gelte, dass Integration nur bei der Anerkennung kultureller Besonderheiten bei gleichzeitiger Kommunikation gelingen könne. Aber: Die Nicht-Teilhabe an gemeinsamen Aktivitäten müsse nicht zwangsläufig bedeuten, dass man sich separiere.

 

Die traditionsbewussten Vorstände der Kleingartenvereine haben es derzeit noch mit anderen Gruppen zu tun - die Kleingärtner aus dem so genannten „hedonistischen Milieu" sowie Migranten und Deutschstämmige „in prekären Lebenslagen". Während Menschen in prekären Lebenslagen dazu neigen, sich aus Gemeinschaften zurückzuziehen, haben Menschen aus dem hedonistischen Milieu andere Motive als traditionsbewusste Kleingärtner. „Hedonisten" wollen in Kleingärten Spaß haben, konsum- und erlebnisorientiert ihre Freizeit mit anderen verbringen. Für ehrenamtliche Tätigkeiten in den Vereinen stehen sie daher oft nicht zur Verfügung. Die derzeitigen Veränderungen im Kleingartenwesen haben also gesamtgesellschaftliche Ursachen, die nicht auf das Verhalten einzelner Mitglieder allein zurückzuführen sind. „Die Zukunft der Kleingärten wird davon abhängen, ob es gelingt, auf diese Herausforderungen praktikable Antworten zu finden und neue Gemeinschaftsformen zu entwickeln", resümierten die Wissenschaftler.

 

Pressekontakt: Dr. Christian Sonntag, Referat für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Hochschule Niederrhein: Tel.: 02151 822 3610; Email: christian.sonntag@hs-niederrhein.de

 

Autor: Christian Sonntag