Schätzungsweise 15 Millionen Deutsche leiden unter psychischen Störungen. Ihnen kann häufig mit Psychotherapie geholfen werden. Um die Ausbildung der Psychotherapeuten ist nun ein heftiger Streit entbrannt. Professor Dr. Michael Borg-Laufs, Dekan des Fachbereichs Sozialwesen der Hochschule Niederrhein, spricht am Mittwoch, 15. Mai, bei der Anhörung im Deutschen Bundestag in Berlin zu diesem Thema. Er sagt: „Wir dürfen nicht zulassen, dass die Hochschulen für angewandte Wissenschaften aus der Psychotherapeuten-Ausbildung ausgeschlossen werden. Wir brauchen nicht weniger, sondern mehr Praxis in der Ausbildung.“
Bislang verläuft die Ausbildung für Psychotherapeuten mehrstufig. Die angehenden Therapeuten studieren Psychologie, Soziale Arbeit oder Pädagogik und absolvieren im Anschluss eine teure mehrjährige Zusatzausbildung zum Psychotherapeuten. Weil Soziale Arbeit ein beliebter Studiengang an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften ist und sich viele der Absolventen zum Psychotherapeuten weiterbilden lassen, sind heute ungefähr 75 Prozent aller Kinder- und Jugendpsychotherapeuten Absolventen einer Hochschule für angewandte Wissenschaften (Fachhochschule).
Der Gesetzentwurf sieht statt der teuren Weiterbildung nach dem Studium ein Psychotherapiestudium vor. Diese Idee findet auch bei Borg-Laufs Zustimmung, der am Fachbereich Sozialwesen Theorie und Praxis psychosozialer Arbeit mit Kindern lehrt und in Berlin den bundesweiten Fachbereichstag Soziale Arbeit vertritt. Wogegen er und die Hochschulen für angewandte Wissenschaften sich wehren: Der neue Studiengang soll laut Gesetzentwurf ausschließlich an Universitäten angeboten werden.
Borg-Laufs führt diese „massive Ausgrenzungspolitik“ auf Standesdünkel der psychologischen Institute der Universitäten zurück. Diese wollten mit den Medizinern aufschließen und schlössen deswegen bewusst die Fachhochschulen aus. „Das halten wir für einen eklatanten Fehler“, sagt Borg-Laufs. „Gerade für die Psychotherapie braucht es Praxis und Anwendung. Beides sind die Stärken unseres Hochschultyps.“ Außerdem sei es bei der Psychotherapie wichtig, alle anerkannten psychotherapeutischen Verfahren anzubieten. Dies sei nur an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften gegeben. An den Universitäten dagegen lehrten fast ausschließlich Verhaltenstherapeuten. „Die Hochschulen für angewandte Wissenschaften bieten ein breiteres Spektrum an, welches den Patienten nur Vorteile bringt.“
Besonders brisant: Weil viele praktizierende Therapeuten über 55 Jahre alt sind, wird der Bedarf an gut ausgebildeten Psychotherapeuten in den nächsten zehn Jahren erheblich steigen. In dieser Situation die Hochschulen für angewandte Wissenschaften, die über ihre Studiengänge Soziale Arbeit oder Sozialpädagogik einen Großteil der späteren Kinder- und Jugendpsychotherapeuten stellen, von der Ausbildung auszuschließen, sei ein Irrweg: „Damit wird der Mangel an Psychotherapeuten noch größer, die Wartezeiten nehmen zu. Für die Kranken ist das eine schlechte Nachricht.“
Weil das Studium der Sozialen Arbeit, wie es zum Beispiel an der Hochschule Niederrhein in Mönchengladbach angeboten wird, auf die Arbeit in der Jugendhilfe vorbereitet, ist die Arbeit mit belasteten Kindern, Jugendlichen und deren Familien dort ein zentraler Kompetenzbereich. Viele Verbände, Akteure und politische Parteien sehen das ähnlich. Am Mittwoch spricht Michael Borg-Laufs im Bundestag als Experte bei der Anhörung zur Überarbeitung des Gesetzes.
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